Aufbruch ins Walderleben

zurück zur Übersicht
08.05.2020
Hohenau, Schönbrunn

Ein alter, morscher Baumstamm steht mitten im Wald. Überall ist er von Baumpilzen und Moosen überwuchert. An vielen Stellen ist die Rinde schon komplett abgeblättert. Kurz dahinter steht ein gutes Dutzend Studenten. Sie hören nicht nur gebannt dem lauten Zwitschern der Vögel zu, sondern vor allem den Worten von Lukas Laux. Er ist seit 1989 Umweltbildungsreferent des Nationalparks. Sein Ziel: Junge Menschen für wilde Natur begeistern.

Die Szene hat sich so im April des vergangenen Jahres in der Nähe von Zwieslerwaldhaus ereignet. Laux war dort im Rahmen des Einführungsseminars für Commerzbank-Umweltpraktikanten aus ganz Deutschland als Referent unterwegs. Auch 2020 hätte das einwöchige Seminar stattfinden sollen. Wie so vieles wurde es Opfer der Corona-Pandemie.
Will für Wildnis begeistern: Lukas Laux mit Commerzbank-Umweltpraktikanten, die nach einem Einführungsseminar selbst Bildungsangebote durchführen.Will für Wildnis begeistern: Lukas Laux mit Commerzbank-Umweltpraktikanten, die nach einem Einführungsseminar selbst Bildungsangebote durchführen.


Trotz der aktuellen Ruhe im Wald, zieht das Schutzgebiet derzeit Jubiläumsbilanz. Als erster deutscher Nationalpark überhaupt wird es heuer 50 Jahre alt. Fast genauso lang wird zwischen Fichten, Tannen und Buchen Umweltbildung betrieben. Vieles hat sich dabei verändert. Methoden und Einrichtungen haben sich weiterentwickelt. Im Laufe der Zeit sind dem Bildungsteam des Nationalparks auch einige wegweisende Weichenstellungen geglückt. Ein Rückblick.

„Die Anfangsjahre waren stark von Arbeitseinsätzen geprägt“, erklärt Laux. Ausgehend vom 1974 eröffnetem Jugendwaldheim bei Schönbrunn am Lusen habe man mit Gruppen Wege gebaut, Bäume gepflanzt, alte Zäune abgebaut oder Wiesen freigeschnitten. Im Zuge der Etablierung des Leitgedanken ‚Natur Natur sein lassen‘ sei diese Art von Aktionen mehr und mehr hinfällig geworden. Es folgten vor allem klassische Wanderwochen. Auch mit dem Konzept Schule im Grünen, also der Verlegung des Klassenzimmers in den Wald bei sonst vergleichbaren Lehrbedingungen, wurde gearbeitet.

Anfang der 1990er Jahre begann dann der Aufbruch ins Walderleben. „Wir haben fortan versucht, sinnliche und experimentelle Ansätze zu verfolgen“, so Laux. Kern des Gedankens: Kinder und Jugendliche sollen erstmal für die Natur begeistert werden. Rückfragen kommen dann von ganz allein. „Zunächst wurden wir dafür belächelt, später hat sich diese Methode nicht nur deutschlandweit durchgesetzt.“ Den Vogelstimmen lauschen, mit bloßen Füßen über den Waldboden schreiten, in Bächen nach Wasserinsekten Ausschau halten oder einfach mal ruhig in der Natur sitzen und die Umgebung mit allen Sinnen wahrnehmen. Neudeutsch: Waldbaden. All das gehört mittlerweile zum Standard des Umweltbildungsteams.

Weiterer Erfolgsfaktor ist die Aufteilung in Kleingruppen. „Früher war es üblich, dass ein Führer mit der ganzen Klasse durch den Wald läuft“, blickt Laux zurück. „Mittlerweile versuchen wir überall dort, wo es geht, Kleingruppen zu bilden.“ Vorteil dabei: „Wir können garantieren, dass jedem Schüler genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird – und auch jeder alles selbst ausprobieren kann.“
Waldführer wie Wilhelm Hoff leiten nicht nur den Großteil der öffentlichen Führungen, sondern sind auch bei der Betreuung von Schulklassen im Einsatz.
Waldführer wie Wilhelm Hoff leiten nicht nur den Großteil der öffentlichen Führungen, sondern sind auch bei der Betreuung von Schulklassen im Einsatz.


Generell werden die Angebote für Schulen immer offener gestaltet. „Bei Klassenfahrten mit Übernachtung in den Themenhütten des 2002 eröffneten Wildniscamps am Falkenstein geht das sogar so weit, dass wir den Kindern eine Woche Zeit im Wald schenken“, berichtet Laux. Die jungen Teilnehmer beschäftigten sich dann mit selbst gewählten Projekten und lassen ihrer Kreativität inmitten der Natur freien Lauf. „118.084 Übernachtungen wurden allein von 2010 bis 2019 im Wildniscamp und im Jugendwaldheim gezählt“, weiß Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl. Nicht nur diese Zahl belegt den Erfolg der umgesetzten Konzepte.

Doch seit jeher lag der Fokus der Umweltbildung auch auf Urlaubern und Tagesausflüglern. Deswegen beginnt der Nationalpark Anfang der 1990er Jahre sein Führungsprogramm zu erweitern. Gab es vorher nur in den Ferienzeiten frei buchbare Angebote, werden diese nun zeitlich ausgedehnt. Das geht mit einem erhöhten Bedarf an Führungspersonal einher. „An dieser Stelle kamen Einheimische ins Spiel“, erinnert sich Umweltbildungsreferent Laux. Wurden geführte Touren bisher meist von Studenten geleitet, kamen nun ehrenamtliche Waldführer hinzu. „Wir wollten, dass die Einheimischen ihren Nationalpark vorstellen.“ Bis heute hat sich dieses Konzept so gut bewährt, dass es vielerorts kopiert wurde.

Um auch Menschen der Region mit Programmen zu erreichen, entwickelt das Umweltbildungsteam regelmäßig Sonderführungsreihen. So gab es Veranstaltungen mit Künstlern, Heimatverbänden und Kirchen. Letzteres hat sich unter dem Motto „Nationalpark und Schöpfung“ sogar langfristig etabliert. Bahnbrechend zum Kontakt mit der jungen Bevölkerung war Ende der 1990er Jahre der Start des Junior-Ranger-Projekts, bei dem jedes Jahr Fünftklässler aus der Region vier Tage lang den Nationalpark entdecken können. Fast 3000 Teilnehmer zählte man dabei bisher.

„Seit 2011 gibt’s darüber hinaus sogar eigens ausgezeichnete Nationalpark-Schulen, die eine ständige Kooperation mit uns pflegen“, so der Umweltbildungsreferent. Aktuell werden zehn Einrichtungen, von der Grundschule bis zum Gymnasium, betreut. Hinzu kommen pädagogisch wertvolle Kindergeburtstage, die vor allem von Teilnehmern am freiwilligen ökologischen Jahr inmitten der Natur durchgeführt werden. Von 2010 bis 2019 fanden 845 dieser wilden Partys statt.
Neben dem 1974 eröffnetem Jugendwaldheim betreibt der Nationalpark seit 2002 auch das Wildniscamp am Falkenstein, wo vor allem Schüler der Natur ganz nah kommen können.Neben dem 1974 eröffnetem Jugendwaldheim betreibt der Nationalpark seit 2002 auch das Wildniscamp am Falkenstein, wo vor allem Schüler der Natur ganz nah kommen können.


Mit der wachsenden Zahl an Umweltbildungsangeboten – 2019 nahmen über 50.000 Menschen an den Programmen teil – wachsen auch die Herausforderungen für die Waldführer, die mittlerweile den Großteil der Führungen betreuen. Deswegen ist gerade in jüngster Zeit viel Aufwand in die professionelle Weiterbildung investiert worden. „Unserem Team von etwa 120 aktiven Waldführern steht mittlerweile ein richtiger Fortbildungskatalog zur Verfügung, aus dem sie wählen und ihre eigenen Schwerpunktthemen vertiefen können“, sagt Laux.

Neuester Trend dabei ist das Philosophieren. „Gerade in der Natur gibt es oft kein richtig oder falsch“, begründet Laux diesen neuen Schwerpunkt. „Allein der Begriff ‚Wildnis‘ ist nicht wirklich klar definierbar. Beim Philosophieren darüber kommt man mit den Gästen ganz anders ins Gespräch, als bei einer klassisch vorgetragenen Führung. Es wird interaktiver und lebendiger.“

Und wohin geht die Reise im nächsten Jahrzehnt? „Zunächst einmal wollen wir das erarbeitete hohe umweltpädagogische Niveau halten“, sagt Nationalparkleiter Leibl. „Zudem leben wir in einem wilden, trilateralen Grenzgebiet, das viele Chancen bereithält.“ Deswegen würde nicht nur Leibl gern auch im Umweltbildungsbereich verstärkt Angebote im Verbund mit tschechischen und österreichischen Partnern etablieren.

Einige von der Europäischen Union geförderte Interreg-Projekte sind bereits angestoßen oder sogar umgesetzt. Beispielsweise gibt es zur nahezu fertiggestellten Waldwerkstatt im Hans-EisenmannHaus ein Spiegelprojekt im Nationalpark Šumava. Daneben hat das Jugendwaldheim zusammen mit der Böhmerwaldschule in Oberösterreich Bildungskonzepte zum Thema Biodiversität erarbeitet. Weitere Ideen liegen in der Schublade. So bleibt auch nach Corona viel zu tun im Umweltbildungsteam des Nationalparks.

Meilensteine der Nationalpark-Umweltbildung

  • 1974: Das Jugendwaldheim bei Schönbrunn am Lusen geht als erstes dieser Art in Bayern in Betrieb.
  • 1978: Bei Spiegelau wird das Waldspielgelände eröffnet.
  • 1990: Im Nationalpark wird das Commerzbank-Umweltpraktikum entwickelt. Mittlerweile sind 27 Schutzgebiete Teil des Projekts.
  • 1990: Erstmals werden Einheimische zu ehrenamtlichen Waldführern ausgebildet.
  • 1994: Für 1,6 Millionen Deutsche Mark wird das Jugendwaldheim erweitert.
  • 1998: Erstmal findet in den Ferien das Junior-Ranger-Projekt statt.
  • 2002: Als zweite große Umweltbildungseinrichtung wird das Wildniscamp am Falkenstein eröffnet.
  • 2009: Im Jugendwaldheim entsteht ein Anbau mit Seminar- und Computerraum.
  • 2009: Das Wildniscamp wird „ausgezeichnetes Projekt der UN-Dekade für nachhaltige Entwicklung“.
  • 2011: Die Nationalpark-Bildungsarbeit wird erstmals mit dem Gütesiegel „Umweltbildung.Bayern“ ausgezeichnet.
  • 2011: Das Kooperationsprojekt Nationalpark-Schulen startet.
  • 2016: Die Waldführer-Ausbildung wird reformiert und findet nun als Blockseminar statt.

- SB


Nationalparkverwaltung Bayerischer WaldGrafenau

Quellenangaben

Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald

Sie möchten Ihren Bericht regional bewerben?

Alle Informationen und Ihren Ansprechpartner finden Sie HIER.



Kommentare

Bitte registrieren Sie sich um hier Kommentare eintragen zu können!
» Jetzt kostenlos Registrieren oder haben Sie Loginprobleme?


Ähnliche Berichte

Wildniscamp sucht neuen KüchenbetreiberLindberg (Zwieslerwaldhaus) Das Wildniscamp am Falkenstein sucht möglichst ab Dezember einen neuen Küchenbetreiber. Wer den Umgang mit Kindern mag und Freude daran hat, mit regionalen und biologisch erzeugten Lebensmitteln zu kochen, kann sich ab sofort beim Nationalpark Bayerischer Wald bewerben.Mehr Anzeigen 04.09.2022Kinofilm zum 50. NationalparkgeburtstagGrafenau Nachdem wegen der Corona-Pandemie bis dato alle zum 50. Jubiläum geplanten Veranstaltungen des Nationalparks Bayerischer Wald abgesagt werden mussten, kann sich das Schutzgebiet nun trotzdem über ein besonders Geburtstagsgeschenk freuen: Der im Laufe der vergangenen zwei Jahre erarbeitete Dokumentarfilm „DER WILDE WALD“ ist nahezu fertiggestellt.Mehr Anzeigen 15.05.2020Nationalparkeinrichtungen bleiben bis 10. Mai gesperrtGrafenau Aufgrund der Corona-Pandemie bleiben die Besuchereinrichtungen des Nationalparks Bayerischer Wald vorerst bis zum 10. Mai geschlossen. Diese Entscheidung hat die Verwaltung in enger Absprache mit dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz basierend auf den aktuell geltenden Regelungen im Freistaat Bayern getroffen.Mehr Anzeigen 02.05.2020Schulklassen: Bitte lächeln!Grafenau Im Schnitt besucht täglich mehr als eine Schulklasse den Nationalpark Bayerischer Wald, um von seiner wilden Natur zu lernen. Allein 2019 nahmen 475 Klassen mit über 10 000 Schülern an Umweltbildungsprogrammen teil.Mehr Anzeigen 27.02.2020Zum 50. Geburtstag gibt’s ein Nationalpark-MenüNeuschönau Auch für die Nationalpark-Partner hat sich die Nationalparkverwaltung unterstützt vom Kultur- und Förderkreis ein Geschenk zum 50-Jährigen einfallen lassen. Und zwar auf der kulinarischen Ebene. Der Starkoch Ludwig Maurer konnte gewonnen werden, um ein exklusives Drei-Gänge-Geburtstagsmenü zu entwerfen.Mehr Anzeigen 11.01.2020So feiert der Nationalpark das anstehende JubiläumsjahrNeuschönau Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus – so auch der 50. Geburtstag des Nationalparks Bayerischer Wald im kommenden Jahr. „2020 feiern wir nicht nur das 50-jährige Bestehen unseres Schutzgebiets, sondern auch 50 Jahre Nationalparkbewegung in Deutschland“, so verdeutlicht Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl die Bedeutung des anstehenden Jubiläums.Mehr Anzeigen 23.07.2019