Rein rechnerisch beginnen vier von fünf Abiturientinnen und Abiturienten unmittelbar nach Abschluss des Gymnasiums ein Studium. Das bedeutet für den Landkreis Freyung-Grafenau, dass jedes Jahr mehrere Dutzend gut ausgebildete junge Menschen die Region – zumindest vorübergehend – verlassen.
Gepaart mit der Tatsache, dass bei historisch niedrigen Arbeitslosenquoten, die teils unter zwei Prozent liegen, Betriebe und Unternehmen in der Region händeringend nach qualifiziertem Fachkräftenachwuchs suchen, entsteht damit Handlungsbedarf im Bereich der beruflichen Orientierung an den Gymnasien.
So hat das Regionalmanagement Freyung-Grafenau in Kooperation mit den Oberstufenkoordinatoren am Johannes-Gutenberg-Gymnasium in Waldkirchen unter dem Titel „Wege nach dem Abitur“ ein Veranstaltungsformat kreiert, das den Schülerinnen und Schülern vor dem anstehenden Abitur mögliche Alternativen zur sofortigen Aufnahme eines Hochschulstudiums aufzeigen soll.
Regionalmanager Stefan Schuster möchte so gemeinsam mit den Projektpartnern unter anderem dazu beitragen, das Bewusstsein für die Wertigkeit einer beruflichen Ausbildung beispielsweise im Handwerk zu stärken und die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten auch dazu bringen, darüber aktiv nachzudenken, ob ein Hochschulstudium automatisch der richtige und vor allem auch zielführende Weg ist.
Konkret haben bei „Wege nach dem Abitur“ unter anderem gerade eben Handwerker mit Abitur den rund 180 Schülerinnen und Schüler der Q11 aller drei Gymnasien im Landkreis Freyung Grafenau ihren beruflichen Werdegang und speziell auch die Beweggründe für die Wahl einer sognannten dualen Ausbildung erläutert.
Sarah Kreile hat ein abgeschlossenes Studium im Bereich „Design“ in der Tasche und hat sich dann dazu entschlossen, ins Handwerk zu wechseln und eine Zimmerer-Ausbildung zu absolvieren.
So hat beispielsweise Katharina Gattermann, die selbst erst vor einem Jahr ihr Abitur in Waldkirchen absolviert hatte, den Schülerinnen und Schülern erklärt, warum sie sich für eine Ausbildung zur Schreinerin entschieden hat. Ebenfalls im Bereich „Holz“ aktiv ist Sarah Kreile. Die junge Frau, die ebenfalls das Staatliche Berufliche Schulzentrum in Waldkirchen besucht, hat auf beeindruckende Weise dargestellt, wie es bei ihr zu einem persönlichen Sinneswandel kam: Nach Abitur und abgeschlossenem Studium hat sich Sarah Kreile dazu entschlossen, Zimmererin zu werden.
Inzwischen steht sie Tag für Tag auf Baustellen in ganz Niederbayern „ihre Frau“: „Ressentiments gegenüber einer Frau in Zimmerer-Arbeitskleidung, die noch dazu vom Äußeren her eher exotisch – da dunkelhäutig – erscheine, seien kaum zu spüren“, so die Handwerkerin, die ganz in ihrem neuen Beruf aufgeht.
Ebenfalls als Handwerkerin im eigentlichen Sinne bezeichnet sich eine der weiteren Referentinnen bei „Wege nach dem Abitur“. Nicole Müller, die in Grafenau ihr Abitur gemacht hatte, hat sich dazu entschlossen, zunächst eine Ausbildung zur Physiotherapeutin zu absolvieren. Heute ist sie Lehrerin an der Fachschule für Physiotherapie in Freyung und hat damit eigenen Angaben nach, ihren absoluten Traumberuf gefunden.
Regionalmanager Schuster sieht gerade in diesem Beispiel die Bestätigung dafür, dass gerade auch über eine solide, gute Ausbildung im Handwerk ganz individuell erfolgreiche Karrierewege möglich sind.
Laut Schuster soll „Wege nach dem Abitur“ kein grundsätzliches Plädoyer gegen ein Studium oder gar gegen den Blick über den Tellerrand der Region hinaus sein: „Für junge Menschen ist es wichtig, persönliche Erfahrungen zu sammeln und diese zielgerichtet einzuordnen. Dazu können auch Auslandsaufenthalte gehören. Damit gehören beispielsweise auch Modelle wie Au-pair oder auch Freiwilligendienst im Ausland zu den Möglichkeiten, die wir im Rahmen der Veranstaltung vorstellen. Wichtig ist dem Regionalmanagement dazu beizutragen, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass es neben dem klassischen Studium weitere Möglichkeiten gibt, beruflich voranzukommen und dass gerade auch Betriebe und Unternehmen in der Region sehr gute Möglichkeiten bieten, sich beruflich zu entwickeln“.
Ein Jahr USA – Theresa Meininger nimmt aus ihrer Au-pair-Zeit deutlich mehr mit, als „nur“ verbesserte Englischkenntnisse.
Ihr Au-pair-Aufenthalt habe vor allem dazu beigetragen, ihre Englisch-Kenntnisse deutlich aufzubessern, so Theresa Meininger, die ein Jahr lang die Kinder einer Familie in der Nähe von New York betreut hat.
Gleichzeitig habe über den Auslandsaufenthalt natürlich auch ihr Selbstbewusstsein zugenommen, so die junge Freyung-Grafenauerin. Soziales Engagement im Ausland war das Thema von Constanze Resch, die selbst vor wenigen Jahren am Gymnasium in Waldkirchen ihr Abitur absolviert hatte. Im Anschluss hat Constanze Resch im Rahmen des Freiwilligendienstes ein Jahr lang in einem Waisenhaus in Indien gearbeitet und dort eigenen Angaben nach ganz wertvolle Erfahrungen gesammelt, die sie nachhaltig geprägt haben – Erfahrungen, die sie im künftigen Leben weiterbringen werden. Davon sei sie überzeugt, so Constanze Resch in ihrem Vortrag vor den Gymnasiasten.
Soziales Engagement auf freiwilliger Basis stand auch im Vortrag von Stefanie Stadler im Mittelpunkt. Die junge Frau leistet aktuell bei den Wolfsteiner Werkstätten in Freyung ein freiwilliges soziales Jahr ab. Auch sie hat es verstanden, auf beeindruckende Weise darzustellen, wie wichtig es für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit sein kann, sich entsprechend zu engagieren. Die Arbeit mit behinderten Menschen habe dazu beigetragen, dass sie ganz neue Seiten an sich entdeckt habe und auch ihr Selbstbewusstsein deutlich gestiegen sei, so die junge „FSJ-lerin“.
„Wege nach dem Abitur“ ist eines von insgesamt drei Veranstaltungsformaten, die vom Regionalmanagement Freyung-Grafenau speziell für die Schülerinnen und Schüler der Landkreis-Gymnasien angeboten werden. Bei der Arbeit mit den Gymnasien geht es dem Regionalmanagement vor allem darum, den Fokus der angehenden Abiturienten auf berufliche Chancen in der Region zu richten und – sollte ein Studium die Variante sein, für die sich die jungen Menschen entscheiden – darauf hinzuweisen, dass nach Abschluss der Ausbildung eine Rückkehr in die Region immer eine gute Alternative darstellt.