Vier mal 100

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25.10.2023
Schönberg

Ist der Markt Schönberg ein außergewöhnlicher Jungbrunnen?

 

Es kommt immer öfter vor, dass hundertjährige Geburtstage gefeiert werden. Aber im Markt Schönberg gab es im Jahr 2023 gleich vier „Dreistellige“. Das dürfte in einer kleinen Gemeinde nur ganz selten vorkommen.

Gerhard Steppes-Michel machte am 12, Februar den Anfang, gefolgt von Franziska Sigl am 16. desselben Monats. Anna Löschinger feierte das hundertjährige Wiegenfest am 23. Juni und das „Küken“ der Dreistelligen ist Richard Braumandl mit Jubeltag am 18. August. Da lag die Idee nahe, so Bürgermeister Martin Pichler, einmal auch gemeinsam so enorm viele Lebenserinnerungen zu teilen, was nun auch mit Kaffeekränzchen und Kuchen geschah. Das Rosenium Schönberg bot dafür den gemeinsamen Rahmen.

 

 

Der Erfahrungsschatz von viermal 100 Jahren lässt sich kaum in einen Artikel fassen. Aus jedem der durchaus bewegten Leben gab es Erinnerungen, die zugleich 100 Jahre Geschichte wiederspiegeln. Von jedem nur ein kleiner Aspekt: Die 1920er waren geprägt von Nachkriegsnot, körperlich und seelisch Verwundeten, von langsam aufkeimender Hoffnung auf goldene 20er, die aber für Deutschland so fragil blieben, dass der Wunsch, es müsse sich gewaltig etwas ändern, in die schlimmste politische Katastrophe führte. Gerhard Steppes Michel erinnerte sich an die Kindheit, um 1926/27 herum. In einem unweit gelegenen Schaufenster drehte eine Eisenbahn so magisch ihre Runden, dass der kleine Gerhard eines kalten Wintertags in blauem Kinderrock und Filzpantoffeln ausbüxte, um sich sehnsuchtsgeladen an der Scheibe die Nase platt zu drücken. Fast wäre die Polizei auf die Suche nach ihm geschickt worden, hätte ihn nicht ein Handwerker erkannt, der im Elternhaus gearbeitet hatte. Für ihn kam der Krieg in der Marine. Später räumte er zwangsweise die Minen, die Deutschland gelegt hatte. Richard Braumandl zog in Richtung Ostfront. Er hat Bombardierungen, Verletzung, schwere Krankheiten, den Einsatz als Panzerfahrer überlebt. Diese Worte sind doch viel zu schwach, um seine Schilderungen wiederzugeben. Neben ihm starben Menschen, wurden förmlich zerfetzt. Er sagt: „Ich hatte Glück!“ Danach folgte die „Quittung“; Flucht, Vertreibung, Heimatlosigkeit musste erst langsam wieder mit Frieden übertüncht werden. Anna Löschinger war eigentlich in Rumänien daheim. Abstammung war dort zugleich Schuld. Die stalinistische Sowjetunion verschleppte und enteignete. In kohlestaubigen Bergwerksstollen der Ukraine musste sie fünf Jahre lang „roboten“, zwangsarbeiten, schuften bis zur Erschöpfung. Es konnte sie nicht brechen. Sie wurde Kindergärtnerin, liebt Bücher und rezitiert Gedichte.

 

 

In den 50ern sind die vier Geburtstagskinder über 30 und beginnen erst das „normale Leben“. Das Wirtschaftswunder sorgt für Konsumlaune, der erste Facharbeitermangel verlangt „Gastarbeiter“. Frauen stehen hingegen meist unter der Fuchtel der traditionellen Ehe. Für Franziska Sigl sind 170 Mark, die ihr der Vater leiht, eine Investition in ihr selbstbestimmtes Leben. Sie fährt eine Strickmaschine mit der Schubkarre heim und erste Aufträge werden teils mit Kartoffeln vom Acker entgolten. Zu ihrer erfolgreichsten Zeit gibt sie 35 Menschen Arbeit in ihrer selbst aufgebauten Strickerei - und doch überholt sie schließlich ein jüngeres Kapitel: Globalisierung, Automatisierung, Preisverfall. Aber sie ist 2004 fast 80, als mit ganzem berechtigtem Stolz über ihr Werk die letzte Masche fällt.

 

Flankiert wurden die Hundertjährigen Richard Braumandl (v.r.), Anna Löschinger, Gerhard Steppes Michel und Anna Löschinger von Bürgermeister Martin Pichler, Bischöflich Geistlichem Rat Michael Bauer, Doris Rötzer vom Rosenium Schönberg und Dr. Markus Veit.
Flankiert wurden die Hundertjährigen Richard Braumandl (v.r.), Anna Löschinger, Gerhard Steppes Michel und Anna Löschinger von Bürgermeister Martin Pichler, Bischöflich Geistlichem Rat Michael Bauer, Doris Rötzer vom Rosenium Schönberg und Dr. Markus Veit.

 

Es war zwar nicht nötig; für ihre 100 sind die vier erstaunlich gut „in Schuss“, selbst wenn hier mal die Beine und dort mal die Ohren nicht mehr ganz wollen. Dr. Markus Veit war dennoch gerne als Hausarzt mit dazu gekommen. Die Frage an alle Jubilare, wie man so alt wird, erntet bei ihnen eher Schulterzucken. Der Fachmann vermutet Genetik und Aktivität als Basis - und vielleicht noch entscheidender Zufriedenheit als „Motivations-Topping“ fürs Leben. Vielleicht traf den Kern der Dinge auch Bürgermeister Martin Pichler: „Schön, dass jeder Zeit hat!“


- SB


Markt SchönbergFirmenpartner-BronzeWAIDLER Partner BronzeSchönberg

Quellenangaben

Markt Schönberg

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