Psychische Gesundheit als gesellschaftliche Aufgabe begreifen

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27.10.2025
Freyung
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Anlässlich des Welttags der psychischen Gesundheit sowie der bundesweiten Woche der seelischen Gesundheit hat Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich der psychosozialen Suchtberatungsstelle des Kreis-Caritasverbandes Freyung-Grafenau e.V. in Freyung einen Besuch abgestattet. Die Einrichtung ist ein zentraler Baustein in der regionalen Versorgung suchtkranker Menschen und verfolgt das Ziel, Betroffene zu stabilisieren, gesellschaftliche Ausgrenzung zu verhindern und Wege zurück in ein selbstbestimmtes Leben zu eröffnen. 

 

Mit den Fachkräften der Suchtberatungsstelle, dem geschäftsführenden Vorstand des Kreis-Caritasverbandes, Florian Kasparak, und der hauptberuflichen Vorständin des Kreis-Caritasverbandes, Alexandra Aulinger-Lorenz, tauschte sich Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich über aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen in der Suchthilfe aus. Dabei wurde deutlich, wie wichtig niedrigschwellige Angebote und individuelle Begleitung sind, um Menschen in seelischen Krisen nachhaltig zu unterstützen. Der Suchtberatung vor Ort komme hierbei eine wichtige Brückenfunktion zwischen Prävention, Intervention und Nachsorge zu, wie Aulinger-Lorenz darstellte. Ein entscheidender Faktor sei die Verfügbarkeit eines möglichst niedrigschwelligen Angebots. Um Hemmschwellen zu senken, bietet die Suchtberatungsstelle etwa Online-Sprechstunden für den Erstkontakt an. Dieses Angebot wird rege genutzt und führt teilweise zu einem Wechsel der Klienten in die normale Sprechstunde, bilanzierte die hauptberufliche Vorständin des Kreis-Caritasverbandes.

 

Suchtwandel und gesellschaftliche Trends

Ein Großteil der Suchtpatienten kommt aufgrund von Substanzabhängigkeiten in die Beratungsstelle, erläuterte Fachberaterin Heidi Haidn. Noch immer ist Alkohol hier mit rund 65 Prozent die Hauptsubstanz. Auf Platz zwei rangieren illegale Substanzen, welche im Zeitverlauf einem gewissen Wandel unterliegen: „Vor sieben bis acht Jahren war das Lösungs- und Reinigungsmittel Gamma-Butyrolacton (GBL), das heute nahezu keine Rolle mehr spielt, weit verbreitet. In den vergangenen Jahren war wiederum Crystal Meth vorherrschend und heute sind es wieder verstärkt Opiate und insbesondere Kokain, da dieses vergleichsweise billig, leicht verfügbar und gesellschaftlich weniger stigmatisiert ist“, wie Haidn berichtete.

 

Auch Verhaltenssüchte – etwa Online-Gaming oder Glücksspiel – gewinnen an Bedeutung, erscheinen aber seltener in der Beratung, da hierbei – im Gegensatz zu Abhängigkeiten bei illegalen Substanzen – meist keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen auftreten und körperliche Folgen weniger sichtbar sind, bilanzierte Fachberaterin Christiane Sterr.

 

Acht Personen stehen gemeinsam in einem hellen Flur mit Glasfronten. Sie blicken lächelnd in die Kamera. Es handelt sich um Vertreterinnen und Vertreter des Caritasverbands Freyung-Grafenau sowie Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich, die sich über aktuelle Entwicklungen in der Suchthilfe austauschten.
Tauschten sich über aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen in der Suchthilfe aus: (v. li. n. re.) Alexandra Aulinger-Lorenz, Lisa-Marie Liebl, Florian Kasparak, Karin Saller, Heidi Haidn, Christiane Sterr, Verena Greiner und Dr. Olaf Heinrich.

 

Zunahme von Depressionen und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie hingegen spielen Verhaltenssüchte mittlerweile eine große Rolle, wie Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich ausführte. Das Freizeitverhalten der Betroffenen sei teilweise in Gänze auf das Online-Gaming fixiert, wobei soziale Bindungen ebenso in den Hintergrund treten wie schulisches Engagement. Zu oft bleibt suchthaftes Verhalten in diesem Bereich zu lange unbehandelt. Dr. Heinrich betonte: „Oftmals kommen Betroffene erst dann in die Beratung, wenn die Tagesstruktur weitgehend aufgehoben ist.“ Es bedürfe jedoch eines frühzeitigen, proaktiven Zugangs.

 

Auffällig sei auch eine starke Zunahme von Depressionen und Angststörungen bei jungen Menschen, wie Fachberaterin Verena Greiner darstellte: „Depressionen und Angststörungen sind unsichtbare Wunden, die sich quer durch alle Lebensbereiche ziehen.“ Ein zentraler Stressfaktor besteht hierbei in der Realität eines unbegrenzten Medienkonsums: „Digitale Informationsfluten, permanente Erreichbarkeit und steigender Leistungsdruck kennzeichnen heute den Alltag vieler Kinder und Jugendlicher“, konstatierte Greiner. Dies führe nicht selten zu einer psychischen Überforderung, die durch die sozialen Medien und die globale Nachrichtenlage noch verstärkt wird. Diese Überforderung betreffe alle Gesellschaftsschichten und Bildungsniveaus gleichermaßen, werde aber oftmals stigmatisiert und verdrängt, kritisierte Vorständin Alexandra Aulinger-Lorenz. Die Beratungsstelle in Freyung bietet daher neben persönlichen Gesprächen auch niedrigschwellige Angebote wie das Online-Beratungsangebot der Plattform „DigiSucht“ bzw. der Plattform des Deutschen Caritasverbandes an, um Betroffenen frühzeitig und unkompliziert Hilfe zu ermöglichen.

 

Belastete Systeme und drohende Versorgungslücken

Sorge bereitete allen Beteiligten die angespannte Personalsituation in der psychosozialen Versorgung. Dr. Heinrich verwies auf die massiven Kostensteigerungen im Sozialhaushalt des Bezirks: „Allein im Einzelplan 4 verzeichnen wir in diesem Jahr Mehrkosten von rund 70 Millionen Euro.“ Zugleich herrscht akuter Fachkräftemangel: „Wenn wir keine ausreichende Zahl an Fachkräften mehr finden, steuern wir auf eine Überlastung des gesamten Systems zu“, wie der Bezirkstagspräsident schilderte. Zugleich führte die sogenannte „Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie“ (PPP-RL) in Teilen bereits dazu, dass Einrichtungen Kapazitäten reduzieren oder ganze Stationen schließen müssen, da die geforderten Personalschlüssel nicht mehr erfüllt werden können. Auch wechseln viele Fachkräfte aufgrund der besseren Rahmenbedingungen aus der stationären in die ambulante Versorgung, wie Vorstand Florian Kasparak ergänzte.

 

Auswirkungen der Cannabis-Legalisierung

 

Mit deutlichen Worten äußerten sich Dr. Olaf Heinrich und die Fachkräfte der Beratungsstelle zur Cannabis-Legalisierung. Die Maßnahme habe bereits spürbare Auswirkungen. Seit der Entkriminalisierung gebe es nahezu keine Zuweisungen mehr zu den bewährten Präventionskursen, wie etwa dem früher stark nachgefragten FreD-Programm zur Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten. „Damit fällt ein entscheidendes Frühwarnsystem für gefährdete Jugendliche weg“, schilderte Teamassistentin Karin Saller. Auch die medizinische Einschätzung sei eindeutig: Cannabiskonsum beeinträchtigt die geistige Entwicklung junger Menschen erheblich. Die Legalisierung sende daher ein falsches Signal aus, indem sie den Eindruck erwecke, die Droge sei harmlos, kritisierte Fachberaterin Lisa-Marie Liebl: „Wir laufen Gefahr, eine neue Generation von Abhängigen zu produzieren – mit langfristigen sozialen und gesundheitlichen Folgen für ein System, das sich ohnehin am Limit befindet“, so Liebl.

 

Abschließend erinnerte Vorständin Aulinger-Lorenz daran, dass Sucht eine chronische Krankheit ist. „Rückfälle sind kein persönliches Versagen, sondern Teil eines langfristigen Genesungsprozesses. Man darf die Notwendigkeit von Folgebehandlungen nicht als Scheitern begreifen“, so Aulinger-Lorenz. Daher müsse das Thema der psychischen Gesundheit noch stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden. „Psychische Erkrankungen und Sucht sind keine Randthemen – sie sind Teil unserer gesellschaftlichen Realität“, unterstrich Vorstand Kasparak. Man dürfe das Thema nicht episodisch behandeln, sondern müsse es als dauerhafte Aufgabe betrachten, betonte auch Dr. Heinrich. Der Bezirk Niederbayern werde sich daher weiterhin für eine starke psychosoziale Versorgung einsetzen.


- JS


Kulturreferat - Bezirk NiederbayernKulturreferat - Bezirk NiederbayernLandshut

Quellenangaben

Bezirk Niederbayern, Christoph Weishäupl

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