Mit neuem Ballett zu neuer Wildnis-Ästhetik

zurück zur Übersicht
21.06.2018
Lindberg, Zwieslerwaldhaus

Zwieslerwaldhaus. Seit jeher sind der Bayerische Wald und der angrenzende Böhmerwald, gemeinsam das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas, bekannt für ihre Mythen und Sagen. Die Frage, wie das Sagenumwobene überhaupt in den Wald hineinkommt, versuchte am vergangenen Wochenende das Bayerische Junior Ballett München zu beantworten. So sind ein gutes Dutzend junger Tänzer und Tänzerin zu besonderen Wildnis-Orten im Nationalpark Bayerischer Wald gewandert. Im Hans-Watzlik-Hain gab’s etwa Urwaldriesen und bemoosten Felsen zu bewundern, an denen im Rahmen der Aufführungsreihe Ballett und Wildnis wunderliche Figuren und Kombinationen einstudiert wurden. Eine erste öffentliche Kostprobe unter den Urwaldriesen des Hans-Watzlik-Hains fand großen Anklang bei den Gästen.

Angeleitet durch Ballettchef Ivan Liška und Choreographin Martina La Ragione wurden erste Choreographie-Bausteine erarbeitet. Gekleidet waren die Künstler in Kostüme, die im Zeitraffer die ganze Menschheitsgeschichte mitsamt ihrer Mythen spiegelten: Von Tierfellen der menschlichen Frühzeit, über Tüll und Seidenbrokat des Barock oder märchenhaft-romantischen Feenkleidchen bis hin zu den zeitlosen Tutus des klassischen Balletts, um schließlich bei den knallbunten Kunstfaser-Trikots des modernen Tanztheaters zu landen.

Das Projekt Ballett und Wildnis wurde 2003 vom Bayerischen Staatsballett begonnen und seither mit dem Bayerischen Umweltministerium als Kooperationspartner durchgeführt. Ziel des Projekts ist unter anderem die künstlerische Darstellung der ästhetischen und ethischen Dimensionen von Naturerfahrung in Prozessschutz-Biotopen, also in der Wildnis. 2014 übernahm das Bayerische Junior Ballett München unter Leitung von Liška die Fortführung des Projekts.

Junge Tänzerinnen und Tänzer studierten jüngst im Nationalpark Bayerischer Wald erste Choreographien für ein neues Werk zum Thema Wildnis ein.Junge Tänzerinnen und Tänzer studierten jüngst im Nationalpark Bayerischer Wald erste Choreographien für ein neues Werk zum Thema Wildnis ein.

Der in Prag geborene Liška ist Vorstandsvorsitzender der Heinz-Bosl-Stiftung. Das renommierte Ausbildungszentrum für Ballett-Tänzer in München ist eine der wichtigsten Talentschmieden für moderne Ballettkompanien. Dort ist auch Platz für neue Ideen. Liška hat schon in seiner Jugend viel Wildnis erlebt und erwandert. „Heute sehe ich in der Wildnis auch ein Korrektiv in einer immer übermächtigeren digitalen virtuellen Realität“, so der Künstler. „Da ist es umso wichtiger, dass wir die Bedeutung von natürlichen Prozessen an den Ballett-Nachwuchs und so auch an unser Publikum weitergeben“.

Mittelfristiges Ziel von Liška und seinem Team ist die Erarbeitung eines Schlüsselwerkes anlässlich des Festakts zum 50. Geburtstag des Nationalparks Bayerischer Wald im Jahr 2020. Eine gemeinsame Absichtserklärung dazu unterzeichneten Liška und Bayerns Umweltminister Dr. Marcel Huber bereits am 6. Mai. Für das geplante Bühnenwerk soll die positiv veränderte Beziehung des Menschen zur wilden Natur künstlerisch aufbereitet werden.

Damit die Künstler freilich auch verstehen, was sie später umsetzen sollten, nahm sich Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl einen ganzen Tag lang Zeit, die Künstler durch wilden Wald zu führen und sie in einige seiner Geheimnisse einzuweihen. Dazwischen und im Anschluss gab es immer wieder Gelegenheit sich vor laufender Kamera des Kameramannes Michael Springer und des Fotografen Berny Meyer in Position zu bringen und einige Tanz-Kombinationen auszuprobieren.

„Bitte weniger Ästhetik und mehr Natürlichkeit! Bitte wieder die Linien aufbrechen!" Die Zurufe von Choreographin La Ragione an die Tänzer und Tänzerinnen während der Vorarbeiten ließen bereits erahnen, wohin die Entwicklung des Werkes ging. Die Künstler des Junior Ballett wussten sofort, die Kommandos umzusetzen. Es ging um traditionelle Ästhetik und die eingespielten Bewegungen des klassischen Balletts, die die jungen Künstler zwar zur Perfektion beherrschten, aus denen sich aber „durch Unterbrechungen neue Qualitäten und auch eine neue Ästhetik entwickeln lässt“, so La Ragione.

Die Mitglieder des Bayerischen Junior Balletts unter Leitung von Ivan Liška tanzten auch auf den Schachten.Die Mitglieder des Bayerischen Junior Balletts unter Leitung von Ivan Liška tanzten auch auf den Schachten.

Dies ist auch ganz im Sinne von Nationalparkleiter Leibl. „Vor fast fünfzig Jahren hat man sich entscheiden, der natürlichen Entwicklung im Nationalpark den Vorrang zu geben. Durch Sturmereignisse und Borkenkäfer entstanden im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine neue Waldnatur und eine bis dahin unbekannte Waldästhetik. Dass die Künstler des Junior Balletts dies aufgreifen; unterstützt und kommuniziert die Nationalparkphilosophie Natur Natur sein lassen in ganz besonderer Weise.“

Mit Aufführungen, Ausstellungen und kleinen Filmen erreicht das Projekt Ballett uns Wildnis inzwischen ein weltweites Publikum, unter anderem in Alaska und Mexiko. 2007 wurde das Bayerische Staatsballett als weltweiter Botschafter der Wildnis von der internationalen WILD Foundation ausgezeichnet. Wegen der grenzüberschreitenden Weiterentwicklung nach Tschechien bekam die Kooperation Ballett und Wildnis 2016 zum zweiten Mal das Prädikat als ausgezeichnetes Projekt der UN-Dekade für Biologische Vielfalt.

2020, das Jubiläumsjahr des ersten Nationalparks in Deutschland, ist gleichzeitig auch das Zieljahr der UN-Dekade für Biologische Vielfalt, welches von den Vereinten Nationen erklärt worden war, um die Weltöffentlichkeit aufzurufen, sich für den Erhalt von Arten und Lebensräumen einzusetzen. Liška jedenfalls will die künstlerischen Erkenntnisse des Projekts Ballett und Wildnis weitertragen, von den Gastspielen in Deutschland hinaus in die Welt.


- SB


Nationalparkverwaltung Bayerischer WaldGrafenau


Quellenangaben

Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald

Sie möchten Ihren Bericht regional bewerben?

Alle Informationen und Ihren Ansprechpartner finden Sie HIER.



Kommentare

Bitte registrieren Sie sich um hier Kommentare eintragen zu können!
» Jetzt kostenlos Registrieren oder haben Sie Loginprobleme?


Ähnliche Berichte

Skitourengehen im Šumava (Böhmerwald) nur auf markierten WegenGrafenau Skitourengehen oder Schneeschuhwandern werden bei Besuchern des Nationalparks Šumava immer beliebtere Winteraktivitäten. Besonders in den letzten zwei Jahren, in denen die Freizeitgestaltung durch die Coronavirus-Pandemie beeinträchtigt wurde, hat die Zahl der Skialpinisten in Tschechien stark zugenommen.Mehr Anzeigen 19.02.2022Von Dobernigl bis Rundspor-LorchelGrafenau Um Licht ins Dunkel der vielen verschiedenen Pilzarten des Böhmerwaldes zu bringen, läuft seit 2017 das Interreg-Projekt „Funga des Böhmerwaldes“. Dafür arbeiten die beiden Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava mit Pilzexperten aus Deutschland, Tschechien und Österreich zusammen.Mehr Anzeigen 09.02.2020Pilz hielt sich 34 Jahre lang verstecktLindberg (Zwieslerwaldhaus) Was eine naturnahe Landschaft ist und was nicht, darüber gehen die Meinungen oft auseinander. Dabei kann man sich in dieser Frage ganz auf die Natur selbst verlassen, denn ein naturnahes Ökosystem zeichnet sich meist durch ihre Naturnähezeiger aus: Das sind Tiere, Pflanzen oder Pilze, deren Existenz auf eine besonders ursprüngliche und unberührte Umgebung angewiesen ist.Mehr Anzeigen 23.06.2019Expedition in die WildnisFreyung Bei bestem Wetter fand unter der Leitung des Umweltbildungsreferenten Lukas Laux von der Nationalparkverwaltung eine Wanderung für Integrationspaten und Flüchtlinge statt.Mehr Anzeigen 02.10.2018Grenzenlos wilde Nationalparks in PragGrafenau Die Zusammenarbeit der beiden Verwaltungen ist in den vergangenen Jahren stark intensiviert worden. Jüngstes Zeichen dieser gelebten grenzüberschreitenden Freundschaft ist eine gemeinsame Ausstellung über das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas.Mehr Anzeigen 24.10.2017Schmuckstücke des BöhmerwaldesGrafenau Schon zum dritten Mal haben sich die Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava zusammengetan, um dem größten zusammenhängenden Waldschutzgebiet Mitteleuropas einen Kalender zu widmen.Mehr Anzeigen 02.07.2017